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Anne Dröge: Lieber Heinrich, wir haben dich bereits vor fünf Jahren hier als ersten Innovator of the month kennengelernt als den „Mann mit dem Kaugummi“ – zur Erinnerung: Es gab mal etwas wie Corona. Damals hast du uns mit einem Kaugummi begeistert, der eine Corona-Infektion diagnostizieren konnte. Vor ein paar Monaten haben wir uns beim Teck-Walk wieder getroffen, und du hast gesagt: „Ich habe eine neue Idee, ein neues Unternehmen!“ Genau darüber sprechen wir heute. Wir bewegen uns in ein anderes medizinisches Gebiet. Was genau macht FlareOn Biotech?
Dr. Heinrich Jehle: Wir haben FlareOn Biotech im Mai 2024 gegründet. Unser Ziel ist es, Tumorzellen sichtbar zu machen – und zwar direkt im Operationssaal. Es geht dabei um sogenannte Point-of-Care-Diagnostik, also darum, mit möglichst wenig technischer Infrastruktur direkt am Patienten eine schnelle und zuverlässige Entscheidungshilfe für die Behandlung zu liefern.
Konkret machen wir Tumorzellen über eine Farbreaktion sichtbar – also durch Fluoreszenz. Diese Methode wird während einer Operation eingesetzt, wenn ein Tumor entfernt wird. Der große Vorteil: Der Chirurg oder die Chirurgin kann erkennen, ob wirklich alle Krebszellen entfernt wurden oder ob noch nachgeschnitten werden muss. Und das ohne lange Wartezeiten auf pathologische Befunde.
Anne Dröge: Also eine Art Echtzeit-Diagnostik im OP?
Dr. Heinrich Jehle: Genau. Bisher werden sogenannte Schnellschnitte gemacht, die dann aufwendig im Labor untersucht werden müssen. Das kostet Zeit und verlängert die Narkose – was ein Risiko darstellt. Mit unserer Methode bekommt das OP-Team innerhalb von zehn Minuten Klarheit. Das spart Zeit, reduziert Risiken und verbessert die Präzision der Operation.
Anne Dröge: Und wie kam es zum Namen „FlareOn Biotech“?
Dr. Heinrich Jehle: „FlareOn“ steht für die Leuchterscheinung – also die sichtbare Fluoreszenz unserer Farbreaktion. Der Name soll ausdrücken, dass selbst das bloße Auge erkennt, ob Tumorzellen vorhanden sind. Die Namensidee kam allerdings nicht von mir – ich bin da eher unbegabt. Das hat meine Kollegin Anna übernommen.
Anne Dröge: Zwischen Corona-Kaugummi und Krebsdiagnostik – gibt es da eine inhaltliche Verbindung?
Dr. Heinrich Jehle: Die Gemeinsamkeit liegt in der Nähe zum Patienten. In beiden Fällen wollen wir ohne aufwendige Geräte und ohne Expertenwissen eine schnelle Aussage über den Gesundheitszustand ermöglichen. Ich verfolge diese Idee der direkten, unkomplizierten Diagnostik schon seit vielen Jahren.
Anne Dröge: Du hast mir erzählt, dass dich das Ende deiner letzten Firma ziemlich erschöpft hat. Was machst du jetzt anders?
Dr. Heinrich Jehle: Ich habe bei der neuen Gründung bewusst darauf geachtet, das Team breiter aufzustellen. Bei der 3a-diagnostics war ich für alles zuständig – Wissenschaft, Strategie, Verhandlungen. Das war auf Dauer einfach zu viel. Jetzt habe ich von Anfang an medizinische Expertise mit ins Boot geholt – zum Beispiel den Onkologen Christian – und mit Anna jemanden, mit dem ich die Geschäftsführung teile. So verteilt sich die Verantwortung besser.
Anne Dröge: Wo steht ihr gerade mit FlareOn? Was ist der aktuelle Stand?
Dr. Heinrich Jehle: Wir haben den Prototyp 2022 im Labor entwickelt und dann in einer klinischen Studie an echten Gewebeproben getestet. Die Ergebnisse waren sehr vielversprechend. Daraufhin haben wir die Firma gegründet und eine Pre-Seed-Förderung erhalten. Derzeit bereiten wir das erste Produkt als F&E-Version vor – es soll zunächst an Universitätskliniken eingesetzt werden, um weitere Daten zu gewinnen.
Die erste Indikation, auf die wir uns konzentrieren, sind solide Tumore im Hals-Nasen-Bereich. Dort zählt jeder Millimeter Gewebe, um Funktionen wie Sprechen, Schlucken oder Atmen möglichst wenig zu beeinträchtigen.
Anne Dröge: Wie lange wird es noch dauern, bis das Produkt zugelassen ist?
Dr. Heinrich Jehle: Für die reguläre Zulassung als In-vitro-Diagnostikum rechnen wir mit etwa drei Jahren. Danach wollen wir eine Sprühlösung entwickeln, mit der das gesamte OP-Feld markiert werden kann – quasi der „Heilige Gral“ für Operateure. Aber das liegt eher fünf bis sieben Jahre in der Zukunft.
Anne Dröge: Was sind für euch die größten Herausforderungen?
Dr. Heinrich Jehle: Die Forschung selbst ist unser tägliches Geschäft – das beherrschen wir. Schwieriger wird es bei der Marktzulassung und der Skalierung. Wir wollen aber unabhängig bleiben und deshalb unsere Produkte eher an Diagnostik-Partner lizenzieren, statt selbst einen globalen Vertrieb aufzubauen.
Anne Dröge: Nutzt ihr eigentlich auch Künstliche Intelligenz?
Dr. Heinrich Jehle: Unsere aktuelle Technologie basiert rein auf biochemischen Reaktionen zwischen Biomarkern und Sensoren – keine KI. In Zukunft kann KI allerdings hilfreich sein, um große Datenmengen zu analysieren, etwa beim Vergleich gesunder und kranker Gewebeproben.
Anne Dröge: Und was steht in den nächsten Monaten an?
Dr. Heinrich Jehle: Wir konzentrieren uns auf die technische Dokumentation – all das „Fleißkärtchen“-Zeug wie Betriebsanleitungen, Risikobewertungen usw. Parallel dazu gehen wir auf Messen, um potenzielle Vertriebspartner kennenzulernen.
Anne Dröge: Gab es schon so einen Moment, wo ihr dachtet: Jetzt haben wir einen echten Meilenstein erreicht?
Dr. Heinrich Jehle: Ja – als unser Prototyp in der klinischen Studie funktioniert hat. Wir waren vorher unsicher, ob es am menschlichen Gewebe klappt. Als dann die positiven Daten kamen, war klar: Wir machen weiter. Das war der Startschuss für die Gründung von FlareOn Biotech.
Anne Dröge: Ihr sitzt in der Region Stuttgart. Viele sagen: Für Biotech muss man nach München, Berlin oder Tübingen. Warum bleibt ihr in Frickenhausen?
Dr. Heinrich Jehle: Ich bin davon überzeugt, dass wir hier einen sehr funktionierenden Mikrokosmos haben – mit tollen Programmen wie dem Pre-Seed BW oder den Innovationsgutscheinen. Es gibt Netzwerke wie bwcon oder die BioRegio STERN. Und für mich persönlich ist es einfach schön, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren.
Anne Dröge: Was treibt dich persönlich an?
Dr. Heinrich Jehle: Ich bin Naturwissenschaftler durch und durch. Mich interessieren Oberflächeninteraktionen – wie Moleküle mit Materialien reagieren. Seit 2001 bin ich in der Biotech-Welt unterwegs und mache das einfach gerne. Ich glaube, da bin ich am richtigen Platz.
Anne Dröge: Wenn deine Kollegin Anna drei Eigenschaften nennen müsste, die sie an dir schätzt – was denkst du, würde sie sagen?
Dr. Heinrich Jehle: Vielleicht, dass ich pragmatisch bin. Ich hoffe auch, loyal und humorvoll.
Anne Dröge: Und wenn wir uns 2030 wieder treffen – worüber sprechen wir dann?
Dr. Heinrich Jehle: Hoffentlich weiter über FlareOn. Das Feld der Krebsdiagnostik ist so groß, dass ich es in meinem Leben sicher nicht vollständig abdecken kann. Aber ich hoffe, wir bleiben klein, schlagkräftig und unabhängig.
Anne Dröge: Und zum Schluss noch ein paar schnelle Fragen:
Frühaufsteher oder Nachteule? Frühaufsteher.
Kaffee oder Tee? Kaffee.
Gründen lieber im Team oder allein? Im Team.
Hoodie oder Laborkittel? Hoodie – auch wenn ich damit im Labor nicht ganz vorschriftsmäßig unterwegs bin.
Lieber zehn Stunden im Labor oder ein Elevator Pitch? Elevator Pitch.
Patent schreiben oder Produkt vermarkten? Produkt vermarkten.
Paper veröffentlichen oder Prototyp bauen? Prototyp bauen.
Ist die Diagnostik der Zukunft eher biologisch oder digital? Beides gehört zusammen.
Anne Dröge: Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast. Wir freuen uns, dich weiter zu begleiten.
Dr. Heinrich Jehle: Danke – wir sehen uns spätestens beim Sommerempfang!
Das war eine gekürzte Text-Fassung des Interviews. Das ganze Interview ist hier auf Spotify verfügbar.
Kontakt:
FlareOn Biotech GmbH
Dr. Heinrich Jehle, Geschäftsführer
Benzstr. 2, c/o Sirius Business Park, 72636 Frickenhausen
Email: ceo@flareon-biotech.com
Internet: https://www.flareon-biotech.com