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Unternehmen müssen ihre Komfortzone verlassen und neues Denken etablieren!

Warum der zwischenunternehmerische Transferprozess im Hinblick auf die digitale Transformation immer mehr an Bedeutung gewinnt und wie er zukünftig gestaltet werden kann, darüber hat Dr.-Ing. Jürgen Jähnert, Mitarbeiter der bwcon research gGmbH gesprochen. 

Herr Dr. Jähnert, wenn es um das Thema Wissens- und Technologietransfer geht, denken die meisten zuerst an den Transfer zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen, aber nicht an den Transfer zwischen Unternehmen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach? 

 

Wir sind aktuell in einer Phase, in der überwiegend produktorientiertes Denken und Handeln in zahlreichen Unternehmen sukzessive abgelöst wird von einem Denken und Handeln in Produkt-Service-Systemen oder sogenannten hybriden Leistungsbündeln, was häufig zu einer Verschiebung der Wertschöpfung in den After-Sales Bereich führt. Diese Denkweise ist nicht grundsätzlich neu, doch sie stellt viele Unternehmen vor eine große Herausforderung: vor allem diejenigen, die ihren Unternehmenserfolg mit einer Fokussierung auf innovative Produkte erlangt haben.

 

Vor diesem Hintergrund müssen die Themen Wissens- und Technologietransfer neu gedacht beziehungsweise weiterentwickelt werden. Denn genau das bislang in Deutschland hervorragend funktionierende Zusammenspiel zwischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen fokussierte sich überwiegend auf eine Fachdisziplin. Nun sehen wir uns mit einem sehr schnell voranschreitenden Konvergenzprozess verschiedener Technologien konfrontiert, der oft auch neue Wertschöpfung ermöglicht. Dies führt dazu, dass aus häufig linearen Wertschöpfungsketten heraus, in denen die Rollen oft klar verteilt waren, die Notwendigkeit entsteht in Wertschöpfungsnetzwerken zu denken. Hierbei ist es durchaus denkbar, dass Unternehmen, die im Grundsatz in Konkurrenz zueinanderstehen, punktuell kooperieren. Genau an dieser Stelle wird der Transfer – und ich benutze bewusst nicht den Begriff Technologietransfer – zwischen den Unternehmen an Bedeutung gewinnen. Neben Technologien werden Erfahrungen bezüglich der Unternehmenskultur und Wertschöpfungsmodelle sowie Wissen zwischen den Unternehmen transferiert. Dies erfordert von Unternehmen eine gewisse Offenheit und einen Weiterentwicklungsprozess, der vor allem in den etablierten Unternehmen auch Widerstände provozieren wird.

 

Auch öffentliche Förderprogramme sind noch nicht hinreichend auf diese multidisziplinären Fragestellungen vorbereitet. Hier bedeutet Multidisziplinarität noch zu oft das Einsetzen verschiedener Technologien und zu wenig die Einbindung mehrerer Fachkulturen. Folglich wird sich dieser multidisziplinäre Transfer zunächst auf den Transfer zwischen Unternehmen fokussieren. Mittelfristig kann es jedoch durchaus sein, dass in reinen Technologieprojekten von EU, Bund und Land auch wissenschaftliche Fragestellungen aus dem Bereich der Geisteswissenschaft mitgedacht werden. So weit sind wir aber aktuell noch nicht. 

 

Warum ist der Transfer zwischen Unternehmen gerade für kleine und mittelständische Unternehmen von Vorteil? 

 

Kleine und vor allem jüngere Unternehmen sind agil, flexibel und in der Lage sich schnell auf andere Marktbedingungen einzustellen. Größere Unternehmen, aber auch kleinere, am Markt etablierte Unternehmen haben etablierte Prozesse, häufig ein anderes (höheres) Qualitätsbewusstsein und sind sehr viel besser in der Lage Skaleneffekte zu generieren, was die Produkte im globalen Weltmarkt attraktiver und letztendlich erfolgreicher macht. Das Bilden von Wertschöpfungsnetzwerken, in denen mehrere kleinere und agil denkende Unternehmen aus verschiedenen Bereichen gemeinsam eine neue Dienstleistung oder eine Produkt-Service-Kombination entwickeln, wird immer mehr an Bedeutung zunehmen.

 

Die stetig zunehmende Plattformökonomie erlaubt das Adressieren von globalen Märkten in sehr kurzer Zeit. Daraus folgt aber auch, dass die Konkurrenten viel schneller mit ihren Dienstleistungen vor der eigenen Haustür stehen. Denkt man diesen Prozess weiter, dann werden die Zyklen, in denen ein Produkt oder eine Produkt-Service- Kombination erfolgreich am Markt platziert werden kann, zunehmend kürzer. Hier sind kleine und mittelständische Unternehmen – unter der Voraussetzung, dass sie eine offene Kooperationskultur leben, – im Verbund untereinander sicherlich im Vorteil. Jedenfalls eröffnen sich für derartige Verbünde beziehungsweise Wertschöpfungsnetzwerke zahlreiche Optionen in der näheren Zukunft. 

 

Was sind aus Ihrer Sicht die besonderen Herausforderungen bei der Umsetzung von Wissens- und Technologietransfer zwischen Unternehmen? Wodurch unterscheidet er sich vom Transfer zwischen Unternehmen und Wissenschaft? 

 

Die aktuelle wirtschaftliche Lage kann noch als sehr gut bezeichnet werden, wobei es einzelne Anzeichen für eine Abkühlung der Industrieauslastung gibt. In einer solchen Phase werden Unternehmen in ihrem grundlegenden Denken und Handeln häufig träge. Die digitale Transformation fordert aber von den Unternehmen eine neue Denkweise: Hierfür ist neben Offenheit und Bereitschaft in Wertschöpfungsnetzwerken zu denken oft auch eine andere Unternehmenskultur erforderlich. „Macht“ und „Kontrolle“ werden ersetzt durch „machen lassen“ und „Kooperation“, was eine andere Fehlerkultur, vielleicht eine andere Führungskultur und in jedem Fall einen veränderten Blick auf das Thema „Technologietransfer“ erforderlich macht.

 

Es wird auch in Zukunft notwendig sein, neue Technologien in die Unternehmen zu transferieren. Ich bin mir aber sicher, dass dies nicht mehr wie bisher hinreichend den Erfolg der Unternehmen gewährleisten wird. Es wird zusätzlich darauf ankommen, unter Anwendung mehrerer in einem Konvergenzprozess zusammenwirkender Technologien neue Wertschöpfung zu gestalten. Komplett neues Denken, disruptive Wertschöpfung in etablierten Unternehmen einzuführen, bedeutet in erster Linie Widerstände innerhalb eines Unternehmens zu überwinden und die Mitarbeiter für den Transformationsprozess zu gewinnen. Dies ist keine Frage der richtigen Technologie, sondern die Frage, ob die handelnden Akteure im Unternehmen die eigene Organisation so gut kennen, dass sie die Mitarbeiter für dieses neue Denken motivieren können. Denn kreative Innovationsprozesse können nicht von der Leitungsebene verordnet werden. Es sind in dieser Phase auch zahlreiche neue Beteiligungsverhältnisse zwischen verschiedenen Unternehmen zu erwarten. Hierbei stellt sich die Frage, wie die Unternehmen beziehungsweise die handelnden Akteure in den Unternehmen miteinander umgehen. 

 

Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Unternehmen (egal ob groß oder klein) brauchen eine Strategie, wie man mit den Herausforderungen der digitalen Transformation, auch im Hinblick auf den zwischenunternehmerischen Transfer, umgeht und dann eben den unternehmerischen Mut, eine solche Strategie konsequent umzusetzen. Der Transfer zwischen Unternehmen und Wissenschaft ist für die Unternehmen in der Regel bequemer. Hier muss weniger an der eigenen Kultur gearbeitet werden, wodurch weniger Änderungsdruck für die Unternehmen selbst entsteht. 

 

Wie wird der Transfer zwischen Unternehmen in Zukunft gestaltet werden? Welche Rolle wird dabei die allgegenwärtige digitale Transformation spielen? 

 

Die digitale Transformation wird sich für zahlreiche etablierte Unternehmen noch sehr unbequem bemerkbar machen. Vor allem wenn neue Marktakteure – quasi aus dem Nichts kommend – in einen etablierten Markt mit einem disruptiven Wertschöpfungsmodell eindringen. Spätestens dann müssen Unternehmen ihre Komfortzone verlassen und neues Denken etablieren.

 

Häufig bleibt dann zu wenig Zeit, um gegenzusteuern. Die digitale Transformation führt zu einem neuen Pakt zwischen jungen, agilen kleineren Unternehmen und größeren, am Markt etablierten Unternehmen. Vor allem die Art und Weise, wie Großunternehmen mit Kleinunternehmen umgehen, wird noch spannend. Im Grundsatz muss jedoch festgehalten werden, dass diese Veränderungsprozesse nicht neu sind und jede neue Technologie bisher ein gewisses Disruptionspotenzial erzeugt hat. Die digitale Transformation ist nichts mehr und nicht weniger als ein Katalysator für einen weiteren Transformationsprozess, der zahlreichen Unternehmen super Chancen eröffnet. Aber eben nur den agilen, schnellen und kreativen Unternehmen. Wir werden hier agile Wertschöpfungsnetzwerke sehen, also lose Verbünde von Unternehmen, die situationsbezogen kooperieren, um dann kurz danach wieder zueinander im Wettbewerb zu stehen.

 

Wir werden Unternehmen sehen, die Teile ihrer Strategie im eigenen Unternehmen und wieder andere Teile der Strategie in anderen Unternehmen umsetzen. Wir werden uns mittelfristig, auch in Forschungsprogrammen, mehr inter- beziehungsweise multidisziplinären Fragestellungen zuwenden müssen. Weiter zwingt die digitale Transformation die Unternehmen sich mit den Ängsten der Mitarbeiter vor der Zukunft zu befassen, mit Change Management, mit neuer Wertschöpfung und mit der eigenen Unternehmenskultur. Der Glaube eines technologieverliebten Landes wie Deutschland, dass wir diese Herausforderungen der Zukunft nur mit Technologiekompetenz lösen, führt sicherlich in eine Sackgasse. Der klassische Technologietransfer wird entsprechend weiterentwickelt werden. In anderen Worten: Reine Spitzentechnologie ist „nur“ noch zwingend notwendig, jedoch nicht mehr hinreichend für den nachhaltigen Unternehmenserfolg. 

 

Ansprechpartner: 

Dr. Jürgen Jähnert 

jaehnert@bwcon.de