Das ausführliche Interview gibt es zum Hören auf Spotify >>
Anne Dröge: Thorsten, schön, dass du heute bei uns bist! Bevor wir ins Thema einsteigen: Der Name deines Unternehmens „SCS“ hat mich zunächst an Maschinenbau oder eine Softwarefirma denken lassen. Was steckt wirklich dahinter?
Dr. Thorsten Alxneit: Ursprünglich habe ich Wirtschaftsinformatik studiert, war dann längere Zeit in der Beratung, unter anderem bei PwC und zuletzt als Partner für die Deutsche Bahn. Parallel habe ich promoviert – zur Frage, wie Nachhaltigkeitsreporting wirtschaftlich messbar gemacht werden kann. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich dachte: Es braucht etwas Neues. Als 2020 meine Tochter zur Welt kam, war das der Moment für einen Neuanfang. Und mit Blick auf das Ziel der Stadt Stuttgart, bis 2035 klimaneutral zu werden, stellte ich mir die Frage: Was kann ich konkret beitragen? So entstand SCS – „Sustainable Century Stuttgart“.
Anne Dröge: Und dieser Beitrag heißt bei dir ja konkret: Pflanzenkohle. Was ist das genau?
Dr. Thorsten Alxneit: Pflanzenkohle entsteht durch Pyrolyse. Also die thermische Zersetzung von Biomasse unter Luftabschluss. Wir verwenden dafür z. B. Straßenbegleitgrün oder Weinreben. Der Prozess erzeugt neben der Kohle auch ein hochwertiges Synthesegas. Das kann wiederum für Fernwärme oder Strom nutzbar gemacht werden. Die Pflanzenkohle selbst hat eine große Oberfläche und speichert Wasser sowie Nährstoffe. Das ist beispielsweise ideal, um Stadtbäume in Zeiten von Hitzestress resistenter zu machen. Wir setzen sie z. B. in Stuttgart ein. Es gibt also viele weitere Anknüpfungspunkte zur Weiterverarbeitung nach dem Pyrolyseprozess.
Anne Dröge: Was passiert mit dem gespeicherten Kohlenstoff?
Dr. Thorsten Alxneit: Das Spannende ist, dass Pflanzenkohle bis zu 1.000 Jahre stabil bleiben kann. Wir schaffen damit reale Kohlenstoffsenken – messbar und zertifiziert. Diese Senkenzertifikate werden nach strengen Standards ausgestellt, die Herkunft der Biomasse, der Pyrolyseprozess und die Ausbringung der Kohle werden genau dokumentiert.
Anne Dröge: Wo stehst du aktuell mit deinem Projekt?
Dr. Thorsten Alxneit: Der Weg war nicht einfach. Gerade die Finanzierung war herausfordernd. Die Herstellung solcher Anlagen kostet rund 2,5 Millionen Euro. Wir haben klein begonnen, mit sogenannten Batch-Retorten als eine Art Proof of Concept. Inzwischen haben wir eine kontinuierlich laufende Anlage bestellt, die im Oktober 2025 in Leinfelden in Betrieb geht. Neben Pflanzenkohle produzieren wir dort auch Fernwärme.
Anne Dröge: Was war bisher dein persönliches Highlight?
Dr. Thorsten Alxneit: Definitiv unser Projekt mit dem VfB Stuttgart. Wir haben den alten Stadionrasen pyrolysiert und daraus mit unserer Kohle einen Bodenaktivator hergestellt den es dann in kleinen VfB-Säckchen für Fans, Kitas und Schulen gab. So wird aus einem abstrakten Klimathema etwas Greifbares. Das war auch unser erster größerer Aufschlag in Richtung Marketing.
Anne Dröge: Wie viel deiner Zeit fließt aktuell in Technik und wie viel in den Vertrieb?
Dr. Thorsten Alxneit: Etwa 80 Prozent gehen in Geschäftsmodell und Vertrieb, 20 Prozent in die Weiterentwicklung. Ich versuche, mit Partnern aus der Industrie tragfähige Lösungen zu bauen, aber auch ehrlich zu bleiben, was realistisch machbar ist.
Anne Dröge: Was braucht es aus deiner Sicht, damit sich Technologien wie deine im Markt durchsetzen können?
Dr. Thorsten Alxneit: Ganz konkret: klare gesetzliche Standards. Momentan ist der Zulassungsprozess je nach Standort unterschiedlich und reicht von einer formellen Anzeige bis hin zu komplexen Verfahren mit Bürgerbeteiligung. Einheitliche Regeln würden vieles erleichtern. Es klingt ein wenig abgedroschen, aber insbesondere für kleine Unternehmen stellt viel Bürokratie dann ein Hindernis dar. Ich habe aber auch schon mit unterschiedlichsten Entscheidungstragenden sprechen können und verstehe die Abläufe dahinter nun besser.
Anne Dröge: Jetzt haben wir viel über deine Idee und das Geschäftsmodell gesprochen: Was hat dich persönlich auf diesem Weg besonders geprägt?
Dr. Thorsten Alxneit: Der Perspektivwechsel. Durch Corona habe ich Stuttgart ganz anders kennengelernt. Nicht mehr nur als Rückzugsort nach Geschäftsreisen, sondern als Lebensraum. Mein Ziel war und ist: Meiner Tochter in 2035 sagen zu können, dass ich aktiv etwas zur Klimaneutralität beigetragen habe. Nachhaltigkeitsbestrebungen werden oft ja leider als störend oder nicht erschwinglich empfunden. Mein Ziel ist es daher, daraus wirklich ein Geschäftsmodell zu bauen. Damit erreiche ich dann nicht nur nachhaltigkeitsaffine Leute, sondern auch die, die sich eher für den Business-Part interessieren.
Anne Dröge: Zum Abschluss haben wir noch ein paar schnelle Entweder-oder-Fragen vorbereitet:
- Labor oder Schreibtisch? – Schreibtisch.
- Grüne Vision oder skalierbares Geschäftsmodell? – Geschäftsmodell.
- Regional denken oder global skalieren? – Global skalieren.
- Konferenzbühne oder Feldbesuch? – Feldbesuch.
- Frühaufsteher oder Nachteule? – Frühaufsteher.
- Innovation im Team oder allein im Kopf? – Im Team.
- Kaffee oder Tee? – Kaffee.
Anne Dröge: Vielen Dank für das Gespräch!