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Innovieren unter Druck? Drei Sichtweisen aus der Praxis auf die Herausforderungen moderner Innovationsarbeit

Es gehört zum Alltag von Innovationsmanagerinnen und Innovationsmanagern: Veränderung. Während eines Treffens der bwcon Special Interest Group Blue Ocean, die als Austauschplattform für Innovationsmanager*innen dient, wurde deutlich, dass sich die Rolle des Innovationsmanagements deutlich wandelt. Wir haben dazu mit drei Innovationsmanager*innen aus unserem Netzwerk ausführlich gesprochen.

Wir wollten wissen: Wie ist das, wenn sich nicht nur die Arbeit inhaltlich mit Veränderungen beschäftigt, sondern sich auch die eigene Funktion transformieren muss? Wie verändert sich aktuell die Rolle des Innovationsmanagements? Welche neuen Kompetenzen erfordert der Job? Welche äußeren Einflüsse gibt es? Wie gestalten Unternehmen künftig erfolgreich ihr Innovationsmanagement?

 

Markus Wildermuth von Festool, Sigrid Rögner von IDS Imaging Development Systems und Dr. Torsten Krug von Handtmann haben Alexandra Rudl, Geschäftsführerin der bwcon GmbH und Antonia Heppeler, Senior Kommunikations- und Innovationsmanagerin bei der bwcon GmbH, Auskunft gegeben.

 

„Es ist ein dauerhafter Anpassungsprozess“, sagt Sigrid Rögner dazu. So viel sei vorweggenommen.

 

Alexandra: Wir kennen uns aus unserer Zusammenarbeit in der Special Interest Group Blue Ocean, aber unsere Leserinnen und Leser kennen euch noch nicht. Deshalb starten wir mit einer kleinen Vorstellungsrunde: Wer seid ihr, was macht ihr beruflich – und was bedeutet Innovationsmanagement für euch?

 

Markus: Ich bin Innovationsmanager bei Festool. Wir entwickeln hochwertige Elektrowerkzeuge für das Handwerk und agieren international. Für mich bedeutet Innovationsmanagement, die zukünftigen Marktbedürfnisse zu identifizieren, Ideen zu priorisieren, technologische Lösungen zu entwickeln und diese möglichst zügig in die  Produktentwicklung zu überführen.

Sigrid: Bei IDS entwickeln wir Industriekameras. Ich bin dort verantwortlich für Business Innovation und Ecosystem – also für neue Geschäftsmodelle, Start-up-Kooperationen und alles, was über unser klassisches Produktportfolio hinausgeht. Für mich ist Innovationsmanagement vor allem der Blick über den Tellerrand: Welche disruptiven Ideen gibt es? Welche Kunden und Partner brauche ich für neue Geschäftsmodelle? Wie kann ich mit Start-ups sinnvoll zusammenarbeiten?

Torsten: Ich bin ursprünglich Physiker, heute Innovationsmanager bei der Handtmann Gruppe. Wir sind in sechs sehr unterschiedlichen Geschäftsbereichen tätig. Ich bin vor allem Ansprechpartner für Themen, die (noch) nicht in ein bestehendes operatives Geschäft passen. Für mich bedeutet Innovationsmanagement, weit in die Zukunft zu schauen – also 5 bis 10 Jahre – und dafür Szenarien zu entwickeln, wo wir strategisch hinwollen.

 

Alexandra: Und wie hat sich eure Rolle als Innovationsmanagerinnen und -manager in den letzten Jahren verändert?

 

Sigrid: Wir sind ein sehr technologiegetriebenes Unternehmen – Geschwindigkeit war also schon immer ein Thema. Aber durch die Krisen der letzten Jahre hat sich unsere Arbeit verändert. Strategische Themen wurden zugunsten operativer Prioritäten zurückgestellt. Wir arbeiten heute auch an Dingen wie der Forschungszulage – einfach, um unseren Mehrwert auch in Zahlen nachweisen zu können. Operative Themen sind gerade extrem wichtig.

 

Antonia: Das hört sich sehr technologiegetrieben an. Wie könnt ihr denn sicherstellen, dass ihr trotzdem auch die Nachfrage am Markt bedient?

 

Markus: Ich bin seit rund drei Jahren schwerpunktmäßig in dieser Rolle. Die Geschwindigkeit, mit der wir auf neue Themen reagieren müssen, hat deutlich zugenommen – und es ist alles sehr technologiegetrieben geworden. Früher waren unsere Produkte rein elektromechanisch – jetzt reden wir über Apps, Sensorik, KI, Bluetooth … das Spektrum ist viel breiter und die Trends sind schneller. Wir müssen felsenfest von einer Idee überzeugt sein, damit wir sie weiterverfolgen.

Torsten: Ich sehe das ähnlich: Früher war Innovationsmanagement mehr "Wir probieren mal was Cooles aus". Heute kommen Markt und Technologie auf uns zu – und wir müssen Lösungen liefern, die schnell umsatzfähig sind. Risikofreude ist weniger gefragt, stattdessen sind schnell umsetzbare, wirtschaftlich sinnvolle Lösungen wichtig.

 

Alexandra: Wie kommt ihr zu einer felsenfesten Überzeugung? Was ist schlussendlich das Zünglein an der Waage?

 

Markus: Wir schauen sehr gezielt, ob ein Thema einen echten Kundennutzen bringt. Wir machen viele Kundeninterviews, Prototypen, Hypothesentests – auch mit Skizzen oder Mock-ups. So finden wir früh heraus, ob ein Produkt wirklich gebraucht wird

 

Alexandra: Nehmt uns gerne einmal anhand von Anwendungsfällen mit: Habt ihr konkrete Beispiele für neue Geschäftsmodelle in euren Unternehmen? Was bedeutet Innovationsmanagement bei euch?

 

Torsten: Ich habe ein Beispiel aus unserer Gießerei: Früher haben wir viele kleine Teile gegossen – heute steigen wir in Mega-Casting ein. Große, komplexe Teile auf einmal zu gießen, verändert das gesamte Zuliefermodell. Da stellt sich die Frage: Liefere ich das künftig noch selbst aus, oder biete ich dem Kunden ganz neue Services an?

Sigrid: Wir stellen unseren Webshop auf ein digitales System um – das klingt unspektakulär, ist aber für uns ein neues Modell. Außerdem hatten wir einen Marktplatz für Komplettlösungen aufgebaut. Der weitere Ausbau des Marktplatzes liegt im Augenblick auf Eis, weil wir das Geschäftsmodell nochmal umbauen müssen und das sehr aufwendig ist. Aber er bleibt interessant für die Zukunft.

Markus: Wir haben unter anderem ein Pilotprojekt für Refurbished-Produkte gestartet – unsere Werkzeuge halten lange, aber viele wollen lieber regelmäßig das neuste Gerät. Wir kaufen gebrauchte Produkte zurück und hauchen ihnen ein neues Leben ein:  Nach dem Austausch von Verschleisskomponenten und der anschließenden Funktionsüberprüfung verkaufen wir sie wieder mit Garantie. Das schont die Umwelt und bietet ausgezeichnete Werkzeuge für den schmalen Geldbeutel. Ein zweites Beispiel: Unsere Schwesterfirma Shaper verkauft CNC-Fräsen – und zusätzlich CAD-Daten für Möbel, Software-Features im Abo-Modell und passende Apps. Da ist das Geschäftsmodell viel breiter aufgestellt.

 

Alexandra: Das bedeutet, dass Veränderungen und der Umgang damit seit jeher zu eurem Job dazugehören. Trotzdem höre ich aus dem, was ihr beschreibt, dass der Gestaltungsraum kleiner wird. Wie geht ihr damit um? Habt ihr noch Freiraum für neue Geschäftsmodelle? Wie disruptiv können die Ideen und Lösungen noch sein?

 

Torsten: Aktuell fokussieren wir uns auf Prozess- und Produktinnovationen. Neue Geschäftsbereiche aufzubauen ist finanziell riskant – und das Geld brauchen wir gerade anderswo.

Sigrid: Bei uns entstehen aktuell viele Produkte, für die es noch gar keinen Markt gibt. Das ist herausfordernd, gerade im B2B-Umfeld. Im Bereich Geschäftsmodellinnovation schieben wir manche Themen vor uns her, weil sie nicht akut entscheidend sind. Aber wir wissen: Es muss sich langfristig etwas ändern.

 

Alexandra: Wir haben es jetzt schon mehrfach angesprochen: Es gibt derzeit einige Transformationen, die auf uns einwirken. Was sind aus eurer Sicht die stärksten Einflussfaktoren auf das Innovationsmanagement?

 

Markus: Ich würde sagen die Globalisierung. Früher dachten wir: Global heißt nur, dass wir neue Märkte erreichen. Heute heißt es auch: Neue Technologien und Wettbewerberkommen in unsere Märkte. Gleichzeitig entstehen Netzwerke, durch die wir von anderen lernen können – z. B. durch bwcon. Bei der gestiegenen Geschwindigkeit von Informationen muss man am Ball bleiben.

Torsten: … das sehe ich auch so. Neben Globalisierung ist Nachhaltigkeit ein Riesenthema. Vor fünf Jahren hatte ich das nicht so auf dem Radar – heute ist es zentral. Es entstehen neue Stellen, Taxonomien, Kooperationsbedarfe … das verändert auch die Innovationsarbeit stark.

Sigrid: Ich sehe auch Themen wie den AI Act oder die Forschungsförderung als starke Einflussfaktoren. Und generell: Innovationsmanagement verändert sich je nach Unternehmensphase, Markt und Technologie. Es ist ein dauerhafter Anpassungsprozess.

 

Antonia: Stichwort Globalisierung und weltweite Märkte: Was könnten wir uns in Deutschland oder speziell im Südwesten vom internationalen Innovationsumfeld abschauen? Was bringt nicht nur Druck und Risiko, sondern auch Inspiration in unser Ökosystem?

 

Torsten: Einheitlichere Strukturen. In Deutschland hängt vieles davon ab, in welchem Bundesland man sitzt – das ist nicht nur für Start-ups ein Problem. Andere Länder sind da konsistenter.

Sigrid: Wir brauchen mehr Mut zum Machen – und weniger „Wiedervorlagen“. Deutschland ist übrigens das einzige Land, in dem das Wort “Wiedervorlage” überhaupt existiert. Das zeigt natürlich wortwörtlich unsere Einstellung. In China wird entschieden und dann umgesetzt. In Deutschland passiert oft erst mal … nichts. “Fail fast” ist nichts Schlimmes, solange man schnell erkennt, was nicht funktioniert.

Markus: Wir neigen zum Perfektionismus. 80 % reichen oft aus, um eine Idee zu testen. Gerade im Innovationskontext sollte man sich trauen, auch unfertige Ideen an Testkunden zu geben und daraus zu lernen.

 

Alexandra: Neben diesen Fähigkeiten bringen die veränderten Rahmenbedingungen auch weitere Anforderungen an die Kompetenzen im Innovationsmanagement mit sich. Welche (neuen) Fähigkeiten braucht man als Innovationsmanager*in heute noch – im Vergleich zu vor 3–5 Jahren?

 

Torsten: Kommunikation ist ein riesiges Thema geworden – vor allem durch Homeoffice und hybride Formate. Remote-Workshops, digitale Moderation, Miro, Online-Beteiligung … das gab es früher so nicht. Heute muss ich Teams auch aus der Ferne mitnehmen können.

Sigrid: Neugier, Flexibilität und ständiges Lernen. Ich kann das nicht an einzelnen Tools oder Themen festmachen. Aber ich weiß: Ich muss mich ständig in neue Bereiche einarbeiten – egal ob Fördermittel, Webshop, Strategie oder Start-up-Kooperation.

Markus: Früher habe ich stark technisch gedacht – heute sehe ich den Dreiklang: Kundenbedarf, Wirtschaftlichkeit und technologische Machbarkeit.  Als Innovationsmanager muss ich alle relevanten Meinungen an einen Tisch versammeln und moderieren, um Entscheidungen auch in frühen Phasen zu treffen oder die kritischsten Fragestellungen herauszuarbeiten.

 

Antonia: Okay, es sind also einige Soft Skills gefragt. Außerdem haben wir festgestellt, dass das Budget für Innovationen geringer ist und Neues sich schneller amortisieren muss. Neben Hebeln wie beispielsweise der Forschungszulage, die neue Ideen fördern kann: habt ihr abschließend ein paar Tipps, wie sich Vorhaben lukrativ gestalten lassen? Wie kann Innovationsmanagement mit wenig oder gar keinem Budget funktionieren?

 

Markus: Studierende! Wir kooperieren mit Hochschulen, geben Projekte an Studierendengruppen, holen uns Know-how von außen rein – das kostet wenig, bringt aber enorme Erkenntnisse. Außerdem testen wir Ideen sehr früh und günstig. Auch Startups spielen eine wichtige Rolle, um neue Impulse oder Technologien ins Unternehmen zu bringen.

Sigrid: Studierende sind auch für uns eine wichtige Ressource. Zudem profitieren wir von unserem Image als innovationsgetriebenes Unternehmen. Unsere Hackathons und Events bringen uns nicht nur neue Kontakte, sondern auch Bewerbende. Innovation wird Teil der Arbeitgebermarke.

 

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